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Archiv 2003 |
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Gastvortrag zur JHV 2003 | ||
Land im Aufbruch, Land in Umbruch | ||
Die Ukraine auf dem Weg in eine andere Zukunft | ||
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Den stärksten Block bildet dabei derzeit "Unsere Ukraine", die auch den derzeitigen Ministerpräsiden- ten Kutschma stellt. An dritter Stelle steht der freiheitlich-liberale Block unter Führung von Frau Timoschenko. Die kommunistische Partei habe immer noch einen Anteil von 20%, was einer Wählerschaft von 10 Mio. Menschen entspreche, erklärte Verhun. Die Kommunisten hätten ihre Wähler in erster Linie unter den einfachen Leuten, denen es zu Zeiten der Kolchosen wesentlich besser gegangen sei als heute. Die Probleme und die Differenzen innerhalb der Blöcke führten in der Vergangenheit dazu, dass die Regierungen, im Vergleich zu den Nachbarstaaten, nicht produktiv arbeiten konnten. Der Prozeß der Gesetzgebung sei davon aber nicht betroffen. So habe Kutschma unlängst vorgeschla- gen, nach seiner Amtszeit, eine Präsidialrepublik mit zwei Kammern, ähnlich dem deutschen Modell, einzurichten. Die nächste Wahl ist im Oktober 2004. Das Land hat seit seiner Unabhängigkeit einen Einwohnerschwund von rund 4 Mio. Menschen hinneh- men müssen. Waren noch 1994 52 Mio. Ukrainer gemeldet, sind es heute noch 48,2 Mio.. Dies habe verschiedene Gründe, führte Verhun aus. Die wesentlichsten seien aber die Immigration und der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Auch in der Industrieproduktion habe es von 1991 bis 2000 nur schlechte Nachrichten gegeben. Jedoch lebt das Land seit dem Jahre 2000 mit Zuwachsraten von ca. 5%, im Jahr, 2001 waren es sogar 9%. Natürlich sehe man in Kiew mehr von diesem Erfolg als in den Regionen, man glaube aber dies in den nächsten Jahren anpassen zu können. Auch der Kurs der eigenen Währung sei relativ stabil. Die Währungsreserven seien von anfänglich 800 Mio. Dollar auf nunmehr 4 Milliarden Dollar gestiegen. Die Schulden seines Landes wurden in der Zeit der Unabhängigkeit von 12 auf 9 Mio. Dollar reduziert. Den strukturellen Umbau seines Landes be- zeichnete der Professor als äußerst schwierig. Während der Zeit der UdSSR, habe man in der Ukraine fast ausschließlich Produktionen zu militär- ischen Zwecken gehabt. Der Umbau auf andere Industrieprodukte brauche Zeit und Geld. Ebenfalls sei die Privatisierung des Landes und der Aufbau einer leistungsfähigen Mittelschicht problematisch. Was nicht zuletzt damit zusammen hänge, dass die Menschen sich daran gewöhnen müssten, nicht auf Anweisung, sondern aus eigenem Antrieb zu arbeiten, erklärte Verhun. Deshalb sei es auch nicht verwunderlich, dass die geplanten Einnahmen von 6 Milliarden Griffna im Jahre 2002 nicht erreicht wurden und stattdessen nur 500 Millionen dem Staatshaushalt zugeführt wurden. Dies ist aber auch eine Frage der Steuerehrlichkeit, die im Land so noch nicht vorhanden ist. Für 2003 sieht es zum jetzigen Zeitpunkt ähnlich aus wie im Vorjahr. Von den geplanten 3 Milliarden Griffna für dieses Jahr sollten in den ersten zwei Monaten bereits 500 Mio. in das Staatssäckl fließen. Es sind aber definitiv bisher nur 112 Mio. eingegangen. Allein die Landwirtschaft habe sich in den Jahren der Freiheit gut entwickelt. Aus den alten Kolchosen haben sich landesweit 10000 verschiedene private Gesellschaften in unterschiedlichen Rechtsformen entwickelt. Die gesamte Produktion stehe damit auf privater Basis und erfülle ihre Aufgabe. Zum Abschluss fand der Botschaftsrat noch ein paar Worte zu der Generation derer, die in Freiheit aufgewachsen sind. Dies, so Verhun, sei eine völlig neue Generation mit einer anderen Mentalität als die ihrer Eltern. Sie warte nicht auf Anweisung von oben, sondern handele. Vielen ginge die Entwicklung zu langsam. Aber sie wüßten, so der Wirtschaftswissenschaftler, dass alles nur von innen heraus, von ihnen selber kommen könne. Schließlich habe sein Land die Entwicklung, wie sie z.B. Amerika in vielen Jahrhunder- ten erlebt habe, in nur wenigen Jahren durchgemacht. Vom anfänglichen wilden Kapitalismus mit Schießereien, bis heute seien immerhin nur zwölf Jahre vergangen. Schmerzhaft, aber schnell und nun mit Konzepten, nähere sich sein Land der EU und hoffe so, in wenigen Jahren mit der Aufnahme rechnen zu können. Die bilateralen Beziehungen zu Deutschland seien immer sehr gut gewesen, auch Dank der Arbeit von Vereinen, wie die vom Verein Brückenschlag. "Allerdings", so Verhun, "es ist immer besser mit der Angel zu helfen, als Fisch zu liefern". Was den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft betrifft, glaubt der Prof., dass dies in 10 bis 15 Jahren durchaus realistisch sein kann. Man warte auf ein Signal, ob überhaupt und wann eine Mit- gliedschaft möglich sein kann. Vielleicht brächten die Gespräche mit dem Präsidenten des Deutschen Bundestags, Wolfgang Thierse, der jetzt im Mai in die Ukraine kommt und beim Besuch des Bundeskanzlers im Sommer, darüber etwas mehr Klarheit. Immerhin werden bereits 15% des Handelsvolumens seines Landes mit der EU abgewickelt. Die direkten wirtschaftlichen Hilfen und Investitionen aus Deutschland sind aber derzeit vom dritten auf den siebten Platz zurück gefallen. Wesentlich mehr als die Deutschen investieren nach den USA, Zypern auf Platz 2 und die Virgin Ilands auf Platz 3 in das Land. Für die Zeit nach dem Beitritt Polens zur EU im nächsten Jahr, rechnet der Botschaftsrat mit einer Sonderregelung im Visa-Bereich mit Polen. Tausende von Ukrainern, die derzeit in Polen ihren Lebens- unterhalt verdienen, wären sonst in ihrer Existenz bedroht. |
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